Die Gotik entwickelte sich in einer Zeit, in der das gesellschaftliche Gefüge Westeuropas einen bedeutenden Wandel erlebte. Neben der Kirche bzw. den Klöstern und dem Adel entwickelte sich das wohlhabende Bürgertum zu einer wichtigen Trägerschaft der Kultur. Diese neuen gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere wohlhabende Kaufmannsfamilien, gewannen durch ihren Einfluss und ihre finanziellen Mittel an Bedeutung und trugen maßgeblich zum Bau prächtiger Kirchen und öffentlicher Gebäude bei.

In dieser Zeit veränderte sich auch das religiöse Denken und Fühlen der Menschen. Es wurde eine starke geistige Trennung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen Leben und Tod sowie zwischen Körper und Geist vorgenommen. Das irdische Leben wurde zunehmend als Vorbereitung auf das Nachleben betrachtet, was zu einer intensiven Sehnsucht nach dem mystischen Jenseits und dem Geheimnisvollen führte. Diese spirituelle Suche fand ihren Ausdruck in der gotischen Kunst und Architektur, die darauf abzielte, die Gläubigen in eine andere, himmlische Welt zu entführen.


Die gotischen Kathedralen wurden zu Symbolen dieser Sehnsucht. Ihre hohen, spitz zulaufenden Türme und die lichtdurchfluteten Innenräume schufen eine Atmosphäre, die die Menschen in eine paradiesische Welt versetzte. Die Bauweise dieser Kirchen, mit ihren großen Fenstern und kunstvollen Glasmalereien, verstärkte das Gefühl des Überirdischen und vermittelte den Gläubigen das Empfinden, dass sie dem Göttlichen näher waren.

So spiegelte die Gotik nicht nur die architektonischen Errungenschaften ihrer Zeit wider, sondern auch die tiefen spirituellen Bedürfnisse und den Wunsch nach einer Verbindung zur Transzendenz.

Ab etwa der Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die Skulpturen immer naturalistischer. Figuren von Maria und dem Jesuskind scheinen sich von der Wand abzulösen, sie neigen sich zueinander und beugen sich zu den Menschen hinunter. Skulpturen, die die Natur darstellten, waren sehr beliebt, da die Natur in der christlichen Religion einen wichtigen Platz in der Schöpfung einnimmt. In der Spätgotik fangen die Künstler an, sich als individuelle Persönlichkeiten wahrzunehmen. Es entstehen die ersten Selbstporträts. Die Kunst wird immer naturgetreuer, anatomisch genauer und zeigt die Stofflichkeit der Figuren. Auch die Darstellung von Falten in den Gewändern wird immer differenzierter.


















