Kategorie: Altertum

  • Griechische Antike (ca. 8. – 1. Jh. v. Chr.)

    Griechische Antike (ca. 8. – 1. Jh. v. Chr.)

    Die Faszination für die griechische Antike ist zeitlos und tief in der menschlichen Geschichte verwurzelt. Diese Epoche, die zwischen dem 8. und 1. Jahrhundert v. Chr. blühte, steht nicht nur für grundlegende Entwicklungen in Philosophie, Wissenschaft und Demokratie, sondern auch für herausragende künstlerische und architektonische Leistungen.

    Die Griechen schufen eine Welt, in der der Mensch im Mittelpunkt stand, und ihre Kunst spiegelt dieses anthropozentrische Denken wider. Die Prinzipien der Demokratie, die in Athen formuliert wurden, legten den Grundstein für moderne politische Strukturen und beeinflussten die westliche Kunst und Wissenschaft über Jahrhunderte hinweg.

    Die Kunst der griechischen Antike ist ein bedeutendes Erbe, das uns lehrt, wie Ideale, gesellschaftliche Werte und die menschliche Vorstellungskraft miteinander verwoben sind. Sie lädt uns ein, über die Schönheit des menschlichen Körpers und die Suche nach Harmonie nachzudenken und bleibt ein inspirierendes Zeugnis einer Zivilisation, deren Einfluss bis heute nachhallt.

    Die archaische Phase (700 v. Chr. – 480 v. Chr.)

    Apoll von Tenea, Mitte 6. Jh. v. Chr.

    In der archaischen Phase dominierte die Aristokratie, deren Geschmack die Themen und stilistischen Merkmale der Kunst maßgeblich prägte. Ein zentrales Motiv dieser Zeit war der Kuros, ein stehender nackter Jüngling. Diese Darstellungen zeigen den Menschen im Mittelpunkt, wobei der Kuros ein ideales Körperbild verkörpert. Er zeichnet sich durch hohe, lauftüchtige Beine, kräftige Oberschenkel, schmale Hüften und eine breit gewölbte Brust aus. Seine sehnigen, straffen Arme und die jugendliche Schlankheit strahlen archaische Strenge aus und vermitteln Selbstbewusstsein, Spannung und Energie.

    Die Figuren dieser Zeit sind stark von der ägyptischen Plastik beeinflusst, was sich in der Frontalität, der starren Haltung und den geballten Fäusten zeigt. Die Statuen waren normalerweise vollplastisch gestaltet, das heißt, sie waren nirgends befestigt (z. B. nicht mehr an einer Rückenplatte), also freistehend und von allen Seiten bearbeitet.

    Kouros von Anavyssos (Kroisos-Kouros), ca. 530 v. Chr.

    Trotz der strengen Frontalität und der unbewegten Gesichtsausdrücke, die zum Ausgleich oft durch ein archaisches Lächeln belebt werden, strahlen die Skulpturen eine gewisse Ruhe und Beherrschung aus.

    Neben den männlichen Figuren wurden auch bekleidete Mädchen, die sogenannten Koren, dargestellt. Diese Figuren haben oft einen säulenartigen Aufbau und tragen stoffreiche, drapierte Gewänder sowie sorgfältig frisierte Haare mit Kopfschmuck.

    Akropolis in Athen, Erechtheion, Tempel in ionischem Baustil. Korenhalle, Koren, 420-406 v.Chr.

    Klassik (ca. 480-300 v. Chr.)

    Die Klassik markiert eine Zeit des ersten Gemeinschaftsgefühls unter den Griechen, das sich unter anderem in der Schaffung der Olympischen Spiele ausdrückte. Im 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich vor allem in Athen die Idee der Demokratie. Während der Perserkriege (492-449 v. Chr.) bewiesen die griechischen Stadtstaaten (Poleis) ihre Stärke und festigten ihre kulturelle Identität, die sich in der klassischen Form der Kunst widerspiegelt.

    Polyklet, Der Doryphoros (Speerträger), um 450-440 v. Chr.
    Römische Marmorkopie der griech. Bronzestatue, 212 cm.

    In dieser Zeit stehen der Athlet und der schöne, kraftvolle Mensch im Mittelpunkt der Darstellungen. Der Anthropozentrismus zeigt sich auch im Tempelbau und in der Kunst. Die Bewegung des menschlichen Körpers wird eindrucksvoll erfasst, und das archaische Lächeln wird überflüssig, da die Figuren lebendig und dynamisch wirken.

    Das Ideal des Menschen vereint Körper und Geist: Ein ideal geformtes Antlitz steht für Bildung und Harmonie. Die Griechen strebten nach einem Gleichgewicht der Kräfte, was sich in der Darstellung von Ruhe und Bewegung zeigt. Der Kontrapost, eine Technik, die den Wechsel von Standbein- und Spielbein-Haltung zeigt, wird in dieser Zeit perfektioniert.

    Achsensysteme im Vergleich

    Archaik (links): symmetrisches Achsensystem

    Klassik (rechts): Kontrapost

    Kontrapost (ital. contraposto = „gegeneinander Gesetztes“): Ausgleich der tragenden und lastenden, der ruhenden und treibenden Kräfte in einer Statue.

    Auf dem Standbein der Figur ruht die Last des Körpers, während das Spielbein frei beweglich nur leicht aufgestützt dargestellt wird.

    Dadurch ergeben sich: Schrägstellung des Beckens und entgegengesetzte Schrägstellung der Schultern, gespannter Arm, entspannter, herabhängender Arm; der Körper schwingt in einer leichten S-Kurve.

    Die Figuren wurden natürlicher dargestellt. Die Bildhauer betrachteten den Aufbau der Muskeln und die Form der Knochen unter der Haut; sie nutzten ihre Beobachtungen, um die Statuen lebensnäher, aber geschönt zu gestalten. Dies wird Idealisierung genannt.

    Ein herausragendes Beispiel dieser Phase ist die „Aphrodite von Knidos“, die erste nackte Großplastik einer Frau, die die Schönheit und Anmut des menschlichen Körpers auf beeindruckende Weise darstellt.

    Hellenismus (300 – 30 v. Chr.)

    Mit dem Sturz der Tyrannis und dem Niedergang der Demokratie begann die Hellenistische Zeit, die von Wandel und Uneinigkeit geprägt war. Das Weltreich Alexander des Großen führte zu einer Ausdehnung der hellenistischen Kultur und zu Monarchien, die oft auf Militärmacht basierten. Die Feldzüge Alexanders verbreiteten die griechische Kunst weit über die ursprünglichen Grenzen hinaus.

    Obwohl das klassische Menschenbild weiterhin als Vorbild diente, erlebte die Kunst eine Variation und Erweiterung. Die Darstellungen wurden gekennzeichnet durch Theatralik und Pathos. Ausgreifende Gesten und bewegte Gesichtsausdrücke prägten die Werke dieser Zeit. Die Szenen wurden oft nach größtmöglicher Spannung ausgewählt, und mehrere Körper wurden als Gruppen zu einer Einheit verbunden.

    Laokoon und seine Söhne, um 100 v. Chr.
    Römische Marmorkopie, 242 cm. Vatikan, Rom.

    Ein bemerkenswerter Aspekt der hellenistischen Kunst ist die Darstellung von Alltagsszenen, die auch Kinder, alte und sogar hässliche Menschen umfassen. Diese hellenistische Genrekunst zeigt eine spöttische Sichtweise und bricht mit dem Ideal des vergöttlichten Menschen, indem sie das Persönliche und Zufällige in den Vordergrund rückt.

    Laokoon und seine Söhne [Detail], um 100 v. Chr.

    Der Niedergang des griechischen Reiches führte dazu, dass viele Originale der griechischen Kunst zerstört wurden, sei es durch den Verfall der Zeit, Zerstörungen durch Kriege, Eroberungen und Vandalismus oder das aufkommende Christentum. Heute kennen wir die Kunst der Griechen hauptsächlich durch die Kopien, die von den Römern angefertigt wurden.

    Die Kunst der griechischen Antike ist nicht nur ein Spiegelbild ihrer Zeit, sondern auch ein bedeutendes Erbe, das bis heute in verschiedenen Formen bewundert wird. Sie verkörpert die Entwicklung von Idealen wie Schönheit, Harmonie und Maß, die auch in der modernen Welt weiterhin an Bedeutung gewinnen. Diese Kunstwerke reflektieren die gesellschaftlichen Werte der Antike, die den Menschen und seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellten, und sie illustrieren die Suche nach Wissen und Wahrheit, die die Philosophie und Wissenschaft dieser Zeit prägten.

  • Altes Ägypten

    Altes Ägypten

    Das Alte Ägypten ist ein faszinierendes Beispiel für eine frühe hochentwickelte, zentralisierte Gesellschaft. Viele künstlerische Erzeugnisse sind bis heute gut erhalten. Um die Ursprünge der Kunst zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den frühen Hochkulturen auseinanderzusetzen, zu denen neben Ägypten auch Mesopotamien, China, Japan und die altamerikanischen Hochkulturen wie die Azteken und Inkas zählen.

    Ägypten war geografisch begünstigt durch den Nil, der nicht nur fruchtbare Böden, sondern auch ein stabiles Klima bot, das eine lange Zeit der ungestörten kulturellen Entwicklung ermöglichte. Diese Stabilität führte zu einem besonderen Bewusstsein der Ägypter für Zeit, Dauer und Vergänglichkeit. Die Kunst wurde in diesem Kontext als ein Mittel verstanden, um die ewige Präsenz der Götter und die Fortdauer des Lebens nach dem Tod zu sichern.

    Das Hauptthema der ägyptischen Skulptur war das „königliche Porträt“, das sowohl Gottheiten als auch Pharaonen darstellte. Der Pharao galt als Mensch und als Nachfahre der Götter, was ihn zu einer zentralen Figur in der ägyptischen Gesellschaft machte. Er war der Stellvertreter des Sonnengottes und kannte den göttlichen Willen, um die Harmonie zwischen den himmlischen Mächten und den Menschen zu garantieren.

    Büste der Nofretete,
    ca. 1353-1336 v. Chr.

    Die religiösen Funktionen wurden von Tempelpriestern übernommen, während der Pharao in der politischen Praxis durch hohe Beamte, Gemälde und Schreiber unterstützt wurde. Diese Strukturen trugen zur Stabilität und Sicherheit des Landes bei und ermöglichten eine ausgeklügelte Form der Kunstproduktion.

    Die Ägypter bezeichneten das, was wir heute als Kunst verstehen, eher als „Handwerk“ oder „lebendiges Abbild“. Die künstlerischen Produkte wurden durch Zaubersprüche und Inschriften „beseelt“, um ihre Funktion als Hilfsmittel für das angestrebte ewige Leben zu gewährleisten. Diese Artefakte, wie Kanopen oder Grabbeigaben, sollten den Verstorbenen im Jenseits helfen und die Prüfung ihrer Seele durch die vielgestaltigen Götter bestehen.

    Die ägyptische Kunst ist durch ihre Formalisierung und die Anwendung bestimmter Regeln in der Gestaltung („Kanon“) geprägt, die eine bestimmte Ästhetik und Symbolik garantierten:

    • Blockhafte und starre Erscheinung: Die Figuren wirken oft, als würden sie in einem angespannten Zustand verharren. Diese Formensprache vermittelt Stabilität und Beständigkeit.
    • Frontalität und Symmetrie: Die Darstellungen sind häufig frontal und symmetrisch angelegt, was die Bedeutung der dargestellten Figuren unterstreicht.
    • Aspektivische Darstellung: Körperteile werden aus verschiedenen Perspektiven additiv zusammengefügt, was zu einer verzerrungsfreien Darstellung führt. So sind beispielsweise Schultern frontal, während der Körper und die Gliedmaßen im Profil dargestellt sind. Diese Technik vermeidet dynamische Bewegungen und sorgt für eine ruhige, zeitlose Ausstrahlung.
    • Verhaftung am Steinblock: Die Figuren scheinen am Steinblock verankert zu sein und wirken nicht losgelöst, sondern gebunden. Dies verstärkt den Eindruck von Unveränderlichkeit und Dauerhaftigkeit.
    Stele des Antef, ca. 2108-2059 v. Chr.
    Statuengruppe des Mykerinos, um 2500 v. Chr.

    Die künstlerischen Erzeugnisse im Alten Ägypten umfassten eine breite Palette von Größen und Formen, von Kleinplastiken bis hin zu Kolossalplastiken. Diese Plastiken konnten aus einer einzigen Sicht oder aus mehreren Ansichten betrachtet werden, was je nach Kontext und Funktion variierte.

    Die erhaltenen Bauwerke und kolossalen Skulpturen sind häufig aus Stein oder Sand gefertigt, was ihnen eine bemerkenswerte Langlebigkeit verleiht. Das trockene, konservierende Klima Ägyptens hat dazu beigetragen, dass viele dieser Kunstwerke bis heute erhalten geblieben sind.

    Sitzfigur von Ramses II., um 1270 v. Chr.
    Luxor-Tempel.
    Kanopen, um 700 v. Chr.
    Höhe: ca. 35 cm. London, British Museum.

    Die Plastik des Alten Ägyptens ist nicht nur ein Ausdruck künstlerischer Fertigung, sondern auch ein bedeutungstragendes Element für den Götterglauben, die Jenseitsvorstellungen, Kult und Rituale sowie die Verehrung der Könige. Sie stellt einen wichtigen Teil der ägyptischen Kultur dar, die die Vergänglichkeit des Lebens zu überwinden suchte. Die ägyptische Plastik verkörpert somit nicht nur die künstlerische Kreativität, sondern auch die tiefen spirituellen und kulturellen Überzeugungen einer der ältesten Hochkulturen der Menschheit.

  • Steinzeit

    Steinzeit

    Die Steinzeit, die sich über einen Zeitraum von etwa drei Millionen Jahren bis etwa 2200 v. Chr. erstreckt, ist eine der faszinierendsten Epochen der menschlichen Geschichte. In dieser Zeit entwickelte sich der Mensch von einem einfachen Jäger und Sammler zu einem sesshaften Landwirt und Handwerker. Die Kunst der Steinzeit, insbesondere die Plastik, spiegelt diese kulturelle Evolution wider und bietet wertvolle Einblicke in das Leben und die Vorstellungen der Menschen dieser Zeit.

    Der Mensch tauchte vor etwa vier Millionen Jahren auf der Erde auf. In den ersten 99 % dieser Zeit stellte er Werkzeuge, Waffen und künstlerische Produkte vorwiegend aus einem Material her: Stein. Erst mit der Erfindung des Metallgusses begann eine neue Ära der Kunst- und Handwerksproduktion. Die Steinzeit wird in drei Hauptabschnitte unterteilt.

    Pferde, Nashörner und Löwen, ca. 29.000 v. Chr.
    Holzkohle auf Kalkstein, Länge der Tiere: ca. 0,5 – 1 m. Grotte Chauvet, Frankreich.

    Altsteinzeit (Paläolithikum):
    ca. 3 Millionen Jahre bis 10.000 v. Chr.

    Die Altsteinzeit ist geprägt von den ersten künstlerischen Ausdrucksformen, die die Menschen hervorgebracht haben. Die ersten Werkzeuge, wie der Faustkeil, waren nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch gestaltet. Diese Werkzeuge wurden durch gezielte Abschläge aus Feuerstein oder Quarzit gefertigt und zeigen eine bemerkenswerte Sorgfalt in der Formgebung. Der Faustkeil gilt als das erste vom Menschen gefertigte Artefakt und manifestiert den frühen menschlichen Gestaltungswillen.

    Pferde, ca. 18.000 v. Chr.
    Ocker und andere Naturpigmente, gesprüht und gewischt, leicht unterlebensgroß.
    Höhle Pech Merle, Südfrankreich.

    Vor etwa 40.000 Jahren zeigt sich das ästhetische Interesse des modernen Menschen (Homo sapiens) in besonderem Maße durch:

    • Höhlenmalereien: Diese Kunstwerke, die vor allem Beutetiere, weibliche Figuren und Jagdszenen darstellen, sind in vielen Höhlen Europas zu finden. Sie zeigen, dass die Menschen ihre Umgebung beobachteten und die Natur in einfachen grafischen Mitteln darstellten.
    • Kleinplastiken: Die Statuetten (kleine Skulpturen) aus dieser Zeit, wie die Venus von Willendorf oder der Löwenmensch, zeigen einen versierten Umgang mit Werkzeugen sowie technische Fertigkeiten und sind bemerkenswerte Zeugnisse des menschlichen Schaffens. Sie hatten oft religiöse oder rituelle Funktionen.

    Der Löwenmensch, geschaffen vor über 30.000 Jahren, stellt die älteste und größte Elfenbeinfigur der letzten Eiszeit dar. Damit ist sie rund 20.000 Jahre älter als die berühmten Höhlenmalereien von Lascaux und Altamira. Diese Figur, die tief in der Vorstellungskraft ihrer Zeit verwurzelt ist, bleibt für uns ein faszinierendes und geheimnisvolles Artefakt. In der kunstwissenschaftlichen Literatur wird sie als Tiergottheit, als Mensch in tierlicher Form oder als spirituell schamanistischer Hilfsgeist charakterisiert.

    Der Löwenkopf, der elongated Körper mit den prankenartigen Armen, menschlichen Beinen und Fußgelenken sowie die aufrechte Haltung erzeugen aufgrund ihrer Tier-Mensch-Metamorphose eine bemerkenswerte Faszination. Diese anthropomorphe Gestalt wurde aus dem Stoßzahn eines Mammuts gefertigt. Die Statuette wurde mit scharfkantigem Feuerstein geschnitzt, gekerbt und auf der Oberfläche geritzt. Besonders auffällig ist die teilweise erhaltene und sorgfältig polierte Oberfläche.

    sog. Löwenmensch von Hohenstein-Stadel/Lonetal, etwa 35.000 v. Chr.
    Mammut-Elfenbein, Höhe: 28 cm.

    Diese Werkzeugintelligenz und technische Fertigkeit kennzeichnen den frühen Homo sapiens, der in kleinen Gruppen den Jagdtieren wie Mammut, Wildpferd oder Rentier folgte. Offensichtlich zollte der frühe Künstler großen Respekt gegenüber seinen gefährlichen Jagdrivalen, wie dem Höhlenbären und dem Höhlenlöwen. Die Herstellung dieser Statuette kann als ein Ausdruck dieser Bewunderung interpretiert werden.

    Das späte Gravettien (vor 28.000 bis 22.000 Jahren) war geprägt von einem drastischen Rückgang des reichhaltigen Jagdangebots in Zentraleuropa. Die letzte große Vereisung zwang die geschwächten Menschen, nach Osten auszuweichen. Könnten die Statuetten als Zeugnisse des Untergangs interpretiert werden? Wurde in einer Zeit zunehmenden Hungers und Not das Überleben der Gemeinschaft auf sie projiziert, als Ausdruck der Sehnsucht nach Fortbestand? Heutige Forschungen deuten nahezu alle Venus-Figuren als Darstellungen von Schwangeren oder Gebärenden – die Frau als Lebensspenderin. Sie repräsentierte die Stammmutter, und das Matriarchat war ein Ausdruck der allgemeinen Verehrung für die Fähigkeit, Leben zu schenken. Die üppigen Formen dieser Figuren symbolisieren Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit.

    Die symmetrische Skulptur ist etwa elf Zentimeter hoch und stellt eine nackte, stämmige Frau dar. Ein Gesicht ist nicht vorhanden. Der Kopf ist groß, trägt eine Frisur oder Kopfbedeckung und sitzt auf schmalen Schultern. Die Frisur oder Kopfbedeckung wurde durch schräg eingeritzte Striche sowie horizontale, konzentrische Linien gestaltet. Die Arme sind dünn und ruhen auf den ausgeprägten Brüsten. Einschnitte an den Handgelenken deuten auf gezackte Armreifen hin. Die Hüften sind stark ausgeprägt, der Bauch ist vorgewölbt, und das Gesäß ist markant. Brust, Bauch und Oberschenkel sind durch tiefe, senkrechte Gravuren hervorgehoben.

    Venus von Willendorf, ca. 28.000 v. Chr.
    Kalkstein, Höhe: 10,5 cm. Wien: Naturhistorisches Museum.

    Ursprünglich war die Figurine vollständig mit Rötel (rotem Ocker) überzogen. Es bleibt jedoch unklar, ob diese Bemalung dauerhaft war, nur zu bestimmten Anlässen aufgetragen wurde oder möglicherweise ausschließlich für die Deponierung gedacht war.

    Mittelsteinzeit (Mesolithikum):
    ca. 10.000 bis 5.500 v. Chr.

    In der Mittelsteinzeit, die von etwa 10.000 bis 5.500 v. Chr. reicht, sind kaum nennenswerte Kunstwerke erhalten geblieben. Diese Zeit war geprägt von der Anpassung der Menschen an die sich verändernden Umweltbedingungen und der Entwicklung erster menschlicher Siedlungen, insbesondere im Gebiet der heutigen Türkei.

    Jungsteinzeit (Neolithikum):
    ca. 5.500 bis 2.200 v. Chr.

    Mit dem Beginn der Jungsteinzeit wurde der Mensch sesshaft und begann, Getreide anzubauen und Nutztiere zu halten. Diese Veränderungen führten zu einer weiteren Entwicklung der Kunst. Die Menschen errichteten Häuser aus Lehm und betrieben Vorratshaltung. Die benötigten Behältnisse fertigten sie selbst aus gebranntem Ton, wobei sie bauchige Gefäße mit eingeritzten Bändern und Spiralen verzierten. Diese Töpferkunst zeigt eine hohe Gestaltungsfähigkeit und ein wachsendes ästhetisches Bewusstsein.

    Bandkeramik, 5300-4900 c. Chr., Altneolithikum.
    Fundort: Gräberfeld Sondershausen, Thüringen.
    Glockenbecher, 2600-2200 v. Chr., Endneolithikum.
    Fundort: Frankfurt-Sossenheim.

    In dieser Zeit entstanden auch große Anlagen aus Holz und Stein, die offenbar religiöse Funktionen hatten. Bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. wurden in Mitteleuropa hölzerne Kreisgrabanlagen errichtet, und um 3.500 v. Chr. entstanden die ersten Megalithgräber und Kultplätze aus riesigen Findlingen.

    Stonehenge, England, um 3300 – 1800 v. Chr., Bronzezeit.

    Die Kunst der Steinzeit, insbesondere die Plastik, legt den Grundstein für viele Gestaltungsbereiche, die wir heute weiterentwickeln. Malerei, Grafik, Plastik/Skulptur, Design/Gebrauchskeramik und Architektur haben ihre Ursprünge in dieser faszinierenden Epoche.

    Quellen:
    Krämer, Torsten (2011): Skulptur und Plastik. Werkbetrachtungen von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart: Ernst Klett Verlag GmbH.