Grundbegriffe der Plastikanalyse

Die Dreidimensionalität einer Plastik kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und dementsprechend den Raum ganz verschiedenartig einbeziehen. Das Spektrum reicht vom Relief, über Figuren, wie z. B. Gewändefiguren an Portalen, die eine Hauptansicht, die sogenannte „Schauseite“, haben und an der Rückseite mit der Architektur verbunden bleiben („Halbplastik“), bis hin zu vollplastisch ausgearbeiteten, allansichtigen Figuren(gruppen). Die Installation geht noch einen Schritt weiter, sie bezieht sich direkt auf den Raum.

Größe und Ganzheit

Die Wirkung einer Plastik wird unter anderem durch ihre Größe im Verhältnis zur menschlichen Körpergröße beeinflusst. Es ist wichtig zu klären, ob es sich um eine unterlebensgroße, lebensgroße oder überlebensgroße Skulptur handelt. „Monumental-“ oder „Kolossalplastiken“ zielen oft darauf ab, durch ihre Dimensionen zu beeindrucken. Allerdings ist die monumentale Wirkung nicht allein von den Maßen abhängig. Auch eine Kleinplastik kann monumental wirken, wenn die Komposition gut gestaltet ist oder die Präsentation so erfolgt, dass sie auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Verschiedene Blickwinkel wie Draufsicht, Untersicht oder Frontalsicht erzeugen unterschiedliche Eindrücke.

Eine Plastik kann ganz und vollständig erscheinen, d. h. alle relevanten Formmerkmale aufweisen, oder aber auch unvollständig. Derartige Plastiken fordern die Betrachtende dazu auf, vermeintlich „fehlende“ Elemente gedanklich/vor dem inneren Auge zu ergänzen. Erläuterungen zu Torsi, Fragmenten und Non-finito-Plastiken erhältst du in folgendem Dokument:

Komposition und Proportion

Die Proportionen bestimmen den körperlichen Ausdruck, bestimmen die Linie, die Silhouette.

Wilhelm Lehmbruck (1881-1919)

Die „Komposition“ (lat. componere, „zusammensetzen“) beschreibt den grundlegenden Aufbau einer Plastik. Sie kann eine vertikale Grundausrichtung (nach „oben“ strebende Wirkung, Dynamik) oder horizontale Grundausrichtung (am Boden verhaftende Wirkung, Ruhe) aufweisen. Weiterhin wird die Komposition wesentlich durch die Formgebung bestimmt: Sie kann entweder eher „organisch“ (gewachsen) oder eher „tektonisch“ (gebaut) erscheinen, wobei die organische Form eher der Natur und die tektonische der Architektur verwandt ist. Manche weisen organische und tektonische Momente in der Form auf.

Jacques Lipchitz, Sitzender Mann mit Gitarre, 1947.
Gips, mit Farbe und Lack bemalt, 78 x 42 x 36 cm. [tektonsiche Formgebung]
Henry Moore, Sheep Piece, 1976.
Bronze. Seepromenade am Zürichhorn, Zürich.
[organische Formgebung]
Henry Moore, Double Oval, 1966.
Bronze. Henry Moore Sculpture Perry Green.
Tony Cragg, Early Forms, 2001.
Bronze, 130 x 410 x 60 cm.

Bei der Beschreibung der Komposition sollte das Verhältnis der Teilvolumina zum Ganzen sowie deren Abfolge beschrieben werden. Außerdem können diese Teilvolumina einen bestimmten Rhythmus aufweisen, z. B. eine Wiederholung.

Es ist auch wichtig zu untersuchen, ob den „Proportionen“ ein bestimmtes Schema zugrunde liegt. Künstler haben seit jeher nach Gesetzen oder einem „Kanon“ gesucht, um Schönheit und Harmonie zu definieren. Jede Epoche bringt jedoch ihren eigenen, wandelbaren künstlerischen Ausdruck hervor. Aristide Maillol ergänzte: „Der Kanon ist eine Regel, die mit jedem Künstler wechselt.“ Eine Ausnahme bildet der „Goldene Schnitt“, der Strecken, Flächen oder Körper in einem harmonischen Verhältnis teilt und seit der Antike Anwendung findet.

Körper-Raum-Beziehung

… Ich spreche von dem Raum, den die Formen erschaffen, der in ihnen lebt.

Eduardo Chillida (1924-2002)

Ein Körper, ob natürlich oder künstlich, existiert nur im Raum, der wiederum durch die darin befindlichen Körper definiert wird. Der unendliche, leere Raum ist unanschaulich. Obwohl sich die Wahrnehmung des Raumes im Laufe der Geschichte gewandelt hat, lassen sich grundlegende Aussagen über den künstlerisch gestalteten Raum treffen.

Körper und Raum sind in der Plastik eng miteinander verbunden: Wenn Material abgetragen wird, gewinnt der Umraum an Gewicht, während das Hinzufügen von Material mehr Raum beansprucht. Henri Laurens definierte: „Plastik bedeutet im wesentlichen Besitzergreifung des Raumes.“ Eine Plastik nimmt realen Raum ein und kann virtuell auf den umgebenden Raum wirken, wodurch Spannungen zwischen der Plastik und dem Betrachter entstehen.

Henry Moore, Oval with Points, 1968-70.
Bronze und Gips.

Es ist hilfreich, mit Verben zu beschreiben, ob der Körper oder der Raum aktiv oder passiv erscheint. Eine Plastik kann den Raum „verdrängen“, „ausgreifen“, „durchstellen“ oder „einfangen“, während der Raum den Körper „abweisen“ oder „umfluten“ kann. Die positiven Formen des Körpers und die negativen Formen des Raumes können in vielfältigen Beziehungen zueinander stehen.

Eine Grundform eines Körpers ist der Block, der oft geschlossene Umrisse hat und den Raum abweist. Stereometrische Formen wie die Kugel bieten dem Raum keine Angriffsfläche und sammeln die potentielle Energie im Innern. Diese werden als „Kernplastik“ bezeichnet.

Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Körper und Raum zeigt sich in Werken mit einem Wechselspiel zwischen konkaven und konvexen Formen, die sich dem Raum öffnen. Henry Moore betonte: „Ein Loch kann ebenso viel Formbedeutung haben wie eine feste Masse. Plastik in Luft ist möglich.“

Henry Moore, Mutter mit Kind/Eiform, 1977.
Marmor, Höhe: 194 cm.
[Hohl- und Mantelform]

Je mehr sich ein Körper öffnet, desto wichtiger werden negative Formen, die den Raum beeinflussen. Kompositionen können dominierende Hohlformen, durchbrochene Strukturen oder ausgedünnte Formen aufweisen, die weniger plastisch wirken und als „Raumlineaturen“ fungieren.

Volumen, Masse und Gewicht

Das Volumen einer Plastik, auch als „plastisches Volumen“ bezeichnet, kann auf zwei Arten entstehen: durch die verwendete Materialmasse und durch die geformten Raumanteile. Man unterscheidet zwischen „Massevolumen“ und „Raumvolumen“ (oder „Negativvolumen“).

Das Volumen eines Würfels kann unterschiedlich dargestellt werden: Bei einem massiven Würfel sind plastisches und Massevolumen identisch. Bei einer Mantelform, wie einem hohlen Würfel, entsteht das Volumen aus einer Kombination beider. Bei einem Drahtkantenmodell besteht fast nur Raumvolumen; es genügen wenige verbundene Stäbe, um die dreidimensionale Form zu markieren. Der Betrachter ergänzt die reduzierte Form nach dem psychologischen „Gesetz der guten Gestalt“, wobei prägnante Raumformen leichter erkennbar sind, während amorphe, gestaltlose Formen schwerer zu erfassen sind.

Zwei Körper mit demselben plastischen Volumen können unterschiedliche Gewichte haben, abhängig vom verwendeten Material und dessen spezifischem Gewicht. In der Plastik spielt das numerisch ausdrückbare, tatsächliche Gewicht jedoch selten eine Rolle; wichtiger ist oft das optische Gewicht. Ein Würfel auf kann einer Spitze oder hängend viel leichter erscheinen. Andererseits kann ein Werk trotz geringem Materialverbrauch oder der Verwendung sehr leichten Materials schwer und massiv wirken, wenn die Massenverteilung dies begünstigt (s. Benjamin Houlihan).

Benjamin Houlihan, Besetzer, 2011-14.
Polyurethan, Pigment, Lack.

Ansichtigkeit, Kontur, Blickführung

Zweidimensionale Kunstwerke geben dem Betrachter einen festen Standort vor, während die „Ansichtigkeit“ (oder der „Aspekt“) bei Plastiken variabler ist. Eine Plastik kann eine oder mehrere gültige Ansichten haben und möglicherweise aus allen Blickwinkeln Informationen liefern.

Einansichtig ist das „Relief“ (lat. „relevare“, „in die Höhe heben“), das zwischen der realen Dreidimensionalität der Plastik und der Raumillusion der Malerei vermittelt. Man unterscheidet zwischen versenkten und erhabenen Reliefs, wobei letztere in Flach-, Halb- und Hochrelief unterteilt werden können. Hochreliefs können durch „Hinterschneidungen“ den vollplastischen Figuren nahekommen und ebenfalls mehrere Betrachterstandpunkte ermöglichen.

Stele des Antef, ca. 2108-2059 v. Chr.

Einansichtige Werke, oft frontal gestaltet, sind für Nischen oder Wände konzipiert und benötigen keine detaillierte Rückseite, wie beispielsweise Bauplastiken an Kathedralen. Diese Werke wirken oft respektvoll, da sie die Blickachse des Betrachters definieren und ihm einen festen Standort zuweisen. Bodenplastiken nehmen eine Zwischenstellung ein; sie dehnen sich in zwei Richtungen aus und sind umschreitbar oder sogar begehbar. Hänge- und Schwebeplastiken stellen Sonderformen dar.

Die meisten Plastiken sind Standplastiken, die „freistehend“ und „voll-“ bzw. „rundplastisch“ ausgeführt sind. Sie können mehransichtig sein, haben jedoch oft eine Hauptansicht, in der sie sich am besten präsentieren, wie Figuren der griechischen Klassik. „Allansichtige“ Plastiken entfalten ihre Wirkung erst aus verschiedenen Perspektiven, häufig haben sie auch eine oder zwei „Schauseiten“, die ihre Wirkung verstärken.

Ernst Barlach, Der singende Mann, 1928.
Bronze, 50 x 46 x 42 cm. Berlin, Nationalgalerie.

Mit dem Standort des Betrachters ändert sich die „Kontur“ der Plastik. Diese Veränderung kann den Eindruck von Bewegung oder Ruhe vermitteln. Ansichtigkeit und die Wirkung der Kontur sind entscheidend für die „Blickführung“, die strukturiert, in welcher Reihenfolge die Teile betrachtet werden.

Die Skulptur ist die größte aller Künste, sie ist sieben Mal größer als die Malerei, weil sie nicht nur eine, sondern acht Ansichten bieten muss, und jede davon hat brillant zu sein.

Benvenuto Cellini, Bildhauer, 16. Jh.

Gerichtetheit und Bewegung

Die „Gerichtetheit“ einer Plastik bezieht sich auf die Dominanz von Ausdehnungen in eine oder mehrere Richtungen. Bei figürlichen Werken sind die Körperachsen entscheidend, und es ergeben sich verschiedene „Richtungsbeziehungen“, die oft in einem bestimmten Rhythmus oder Kontrast angeordnet sind. Die Gerichtetheit lässt sich mit Begriffen wie „stehend“, „liegend“, „sitzend“ oder „sich aufrichtend“ beschreiben, die auch auf abstrakte Arbeiten anwendbar sind. Eine häufige Anordnung ist der „Kontrapost“ (ital. contrapposto, „Gegensatz“), der auf die klassische Antike zurückgeht.

Die Gerichtetheit ist eng mit dem Verhältnis des Körpers zum Raum verknüpft. Ein raumweisender Körper tendiert dazu, von einem Zentrum nach außen zu wirken, während ein raumabweisender Körper eher nach innen gerichtet ist. Sie beeinflusst auch Gleichgewicht, Statik und Dynamik eines Werks: Eine vertikale und horizontale Ausdehnung vermittelt einen statischen Eindruck, während diagonale Linien Dynamik und Bewegung suggerieren.

Bewegung kann als dargestellte Handlung oder als Moment des Stillstands innerhalb eines Ablaufs konzipiert werden. Der „fruchtbare Moment“, ein antikes Konzept, zeigt einen Zeitpunkt, von dem aus die vorangegangene Tätigkeit rekonstruiert und die folgende antizipiert werden kann. Tatsächliche Bewegung kann bei kinetischen Plastiken auftreten, deren Körper-Raum-Beziehung ständig wechselt, oder durch die Bewegung des Betrachters, der von mehransichtigen Werken zum Umschreiten angeregt wird.

Alexander Calder, Mobile, 1932.
Metall, Holz, Draht und Schnur.

Präsentation

Bei der Präsentation einer Plastik ist es wichtig, auf die Ausleuchtung zu achten, da beispielsweise eine stark seitliche Lichtquelle eine ganz andere, dramatischere Wirkung erzeugt als diffuses Licht. Die Wirkung des Lichtes hängt zudem vom Material und seiner Bearbeitung ab: Dunkles Material mit einer leicht rauen Oberfläche, wie Terrakotta, wirkt lichtarm, da es mehr Licht absorbiert als polierte Bronze, deren erhabene Teile deutlich stärkere „Spitzlichter“ (hell reflektierende Stellen) aufweisen. Hochglanzpoliertes Material mit glatten Flächen spiegelt oft die Umgebung wider, wodurch diese Teil der Plastik wird. Gips hingegen wirkt stumpf, während weißer Marmor einen „transluziden“ Charakter aufweist, bei dem Licht teilweise unter die Oberfläche dringt und leuchtet.

Auguste Rodin, Die Bürger von Calais, 1884-1895.
Bronze, Place de l’Hôtel de Ville in Calais.

Ein wichtiger Aspekt bei der Präsentation ist das „Sockelproblem“, das viele Künstler beschäftigt hat. Ursprünglich dienten Sockel und Postamente zum Schutz vor Bodennässe, gewannen jedoch schnell an Bedeutung, insbesondere bei Denkmälern, da sie dem Betrachter eine Untersicht bieten und somit eine gewisse Überlegenheit suggerieren können. Auguste Rodin war einer der ersten, der bei seinen „Bürgern von Calais“ auf solche Sockel verzichtete und stattdessen eine „Plinthe“ verwendete, die meist aus demselben Material wie die Figuren besteht und hauptsächlich der Stabilität dient. Für andere Künstler, wie Constantin Brancusi, hatten Sockel hingegen eine gleichwertige künstlerische Bedeutung. Die Wirkung von Plastiken ist also stark vom Kontext abhängig. Dies gilt besonders für Freiplastiken. Henry Moore bemerkte: „Die Landschaft, die Wolken, der Himmel zehren an der Plastik und verringern ihre Maße, dünne, lineare Formen gehen leicht verloren.“

Schließlich ist die Frage relevant, an welchem Ort die Plastik präsentiert wird, insbesondere bei Plastiken und Skulpturen im Außenraum. Beispielsweise kann eine organische Plastik bewusst im Kontrast zu einer gebauten, urbanen Umgebung stehen oder durch eine spiegelnde Oberfläche die Umgebung (z. B. Natur, Architektur, Betrachtende) einbeziehen. Ein Plastik kann außerdem inhaltliche, symbolische oder formale Bezüge zum Präsentationsort aufweisen und diesen entsprechend reflektieren.

Anish Kapoor, Cloud Gate („The Bean“), 2004-06.
168 zusammengeschweißte und geglättete, glattpolierte Edelstahlplatten, 20 m × 13 m × 10 m.
Millennium Park, Chicago (Illinois, USA).

Quellen:
Grünewald, Dietrich (2009) (Hrsg.): Kunst entdecken. Oberstufe. Berlin: Cornelsen Verlag, S. 46f.
Quelle: Lanz, Oliver (2018): Objektkunst. Begriff und Geschichte.