Plastische Gattungen, Techniken und Materialien

Skulptur ist die Kunst der Buckel und Löcher, die Kunst, die Formen im Spiel von Licht und Schatten darzustellen.

Auguste Rodin (1840-1917)

Das Wort Plastik ist der Oberbegriff für alle Arten dreidimensionaler Kunstwerke (Skulptur, Objekt, Installation). Dreidimensionale Kunstwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehransichtig sind, also von mehreren Seiten betrachtet werden können.

Gattungen, Techniken und Verfahren

Im engeren Sinne meint der Begriff Plastik (griech. plastiké téchne: die Kunst, zu formen) eine Gestaltung aus weichem, formbarem Material wie Wachs, Knete, Modelliermasse, Plastilin oder Ton. Hierbei wird additiv (= aufbauend) gearbeitet. Für die Bearbeitung des Materials können die Hände oder spezielle Modellierwerkzeuge verwendet werden.

Das Wort „Skulptur“ stammt aus dem Lateinischen (sculpere: schnitzen, meißeln) und bezeichnet im Unterschied zur Plastik subtraktive (= abtragende) Verfahren. Dafür werden Materialien verwendet, die vor der Bearbeitung einen größeren Umfang haben als danach, wie Stein, Marmor, Holz oder Gipsblöcke. Bearbeitet werden die mehr oder weniger harten Materialien mit Werkzeugen wie Meißel, Stechbeitel, Schnitzwerkzeuge, Sägen usw.

Giambologna, Raub der Sabinerin, 1581/83.
Marmor, Höhe; 410 cm. Florenz, Loggia dei Lanzi.

Bildhauerei nenne ich die Kunst, die durch behutsames Wegnehmen geübt wird.

Michelangelo Buonarroti (1475-1564)

Einen Überblick über die Werkzeuge für die bildhauerische Arbeit erhältst du in folgender Abbildung:

Quelle: Lanz, Oliver (2018): Objektkunst. Begriff und Geschichte.

Material und Oberfläche

Wie bei kaum einer anderen Gattung hängt bei der Plastik die Wirkung sehr vom verwendeten Material und dessen Oberfläche ab.

Klassische Bildhauermaterialien sind vor allem Stein, Holz und Metall. Insbesondere Marmor, Kalkstein und Bronze waren in der Antike und Renaissance beliebte Werkstoffe. Aber auch Ton, Elfenbein, Wachs und Gips wurden verwendet. Einen Überblick über künstlerische Verarbeitung des Werkstoffs Ton findest du in folgendem Beitrag:

Der Bildhauer Giovanni da Bologna („Giambologna“) arbeitete seine Skulptur Raub der Sabinerin von 1581/83 aus einem Marmorblock heraus. Das Herstellungsverfahren bei größeren Werken sieht traditionell so aus: Am Anfang steht der „Bozzetto“, der erste Entwurf in Ton, nach dem ein Modell angefertigt wird, das in in Maßstab und Ausgestaltung bereits dem fertigen Werk nahekommt. Erst dann beginnt die Arbeit am Stein oder wird der Bronzeguss vorbereitet.

Die Überarbeitung der Oberfläche einer Plastik mit anderen Materialien nennt man „Fassung“. Für einige Fassungen gibt es eigene Begriffe, so z. B. „Glasur“ bei Keramik oder „Patina“ bei Bronzeplastiken. Die letztere kann durch natürliche Oxydation oder durch künstlich-chemische Behandlung entstehen.

Henry Moore, Double Oval, 1966.
Bronze. Henry Moore Sculpture Perry Green.

Giambologna (s.o.) verzichtet wie die meisten Künstler seiner Zeit auf eine Bemalung. In der griechischen Antike und im Mittelalter hingegen waren viele Werke „polychrom“ (griech.: vielfarbig, bunt) bemalt waren, wie neuere Forschungen zeigen. Bis ins 18. Jh. glaubte man, dass die antiken Skulpturen im reinweißen, ungefassten Zustand, so wie man sie gefunden hatte, gestaltet waren – die Ästhetik der Renaissance und des Klassizismus gründet sich auf diese Vorstellung. Mit farbigen Fassungen hingegen wirkt eine Skulptur ungleich naturalistischer.

Peploskore der Athener Akropolis, um 540 v.Chr.
Marmor bemalt, 120 cm. Athen, Akropolismuseum.

Peploskore der Athener Akropolis.
Farbrekonstruktion des antiken Originals.
Stiftung Archäologie.
Michel Erhart, Ravensburger Schutzmantelmadonna, um 1480-90.
Lindenholz, farbig gefasst, Höhe: 135 cm.

Dieses Phänomen machen sich Künstler bis heute zunutze: Die aus Glasfaser und Polyesterharz bestehenden Figuren Duane Hansons wirken durch Bemalung und authentische Kleidungsstücke täuschend lebensecht. Auch Ron Mueck gestaltet naturnahe, hyperrealistische Figuren.

Duane Hanson, Mann auf Bank, 1997.
Vinyl, polychromiert in Öl, mit Accessoires, in Lebensgröße.
Crystal Bridges Museum of American Art, Bentonville (Arkansas,USA).
Ron Mueck, ohne Titel (Shaved Head), 1990/98.
Silikon, Polyurethanschaum und Acrylfaser, 49,5 x 36,7 x 83,8 cm.
Skulpturenhalle, Albertinum Dresden.

Neben der eigentlichen Form bestimmt die Oberfläche die Wirkung einer Plastik. Diese entsteht zum einen durch die Materialstruktur, wie Fasern beim Holz. Zum anderen kann jedes Material eine raue Oberfläche erhalten oder durch Polieren eine glatte Außenhaut bekommen. Als Werkspuren bezeichnet man eine solche Oberfläche, die die Spuren der Bearbeitung bzw. des Bearbeitungswerkzeuges erkennen lässt.

Auguste Rodin, Danäid, 1889.
Marmor, 21 x 41 x 24 cm.
Henry Moore, Composition, 1932.
Buchenholz, 36 x  10 x 15 cm.
High Museum of Art, Atlanta.

Je nach Material und Bearbeitung kann die Oberflächenstruktur glatt, stumpf, warm, kalt, poliert, rau, feucht, rissig, spröde, rostig o. Ä. sein. Innerhalb eines Werkes können unterschiedliche Oberflächenbehandlungen starke Kontraste erzeugen. Auguste Rodin stellte die Werkspuren seines Meißels im Marmor gern geschliffenen und polierten Stellen gegen über, um die »fertigen« Teile durch dieses absichtsvolle „Non-finito“ um so kunstvoller erscheinen zu lassen.

Die Oberflächenbearbeitung hat einen besonderen Einfluss auf das Licht-Schatten-Spiel in einer Plastik. Dieses hängt auch noch von weiteren Faktoren ab: der Lichtquelle, dem Material und seiner Farbe, sowie von der Bearbeitung der Oberfläche und der Plastizität. Eine Arbeit, die reich an Einzelheiten oder zerklüftet ist, erzeugt ein unruhigeres und dynamischeres Licht-Schatten-Spiel im Vergleich zu einem Werk, das summarisch behandelte, zu einem großen Ganzen zusammengefasste Details aufweist.

Camille Claudel, Das reife Alter, 1897.
114 x 163 x 72 cm, Bronze.

Skulptur ist gegenwärtige Wirklichkeit.

Henry Moore (1898-1986)

Mit der Industrialisierung erweitert sich das Spektrum an Materialien und Werkstoffen in der Bildhauerei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden auch kunstferne Materialien in der Plastik Verwendung, beispielsweise fertige Industrieprodukte, Kunststoffe, Alltagsgegenstände oder Abfall. Ab den 1960er Jahren und im Kontext des „offenen Kunstbegriffs“ bereichern organische Materialien, wie Fett bei Joseph Beuys, Seife bei Janine Antoni, Lebensmittel wie bei Dieter Roth und selbst Exkremente, wie bei Piero Manzoni, das Spektrum.

Daniel Spoerri, Kichka’s  Breakfast, 1960.
Holzstuhl, an der Wand montiert, Brett auf Sitzfläche,
Kaffeetasse, Trinkbecher, Eierbecher, Eierschalen,
Zigarettenstummel, Löffel und andere Materialen.
Joseph Beuys, Fettstuhl, 1964.
Darmstadt, Hessisches Landesmuseum.

Der britische Künstler Marc Quinn modellierte in dem lebensgroßen Werk Self mit fünf Litern Blut ein Abbild seines eigenen Kopfes. Die Menge des Blutes, die er sich über Monate abnehmen ließ, entspricht der Menge des Blutes eines erwachsenen Körpers. Der Künstler reflektiert seine Arbeit:

Das Blut ist mein eigenes Blut. Wenn es in meinem Körper zirkuliert, ist es ein Teil meiner selbst. Dann ist es dort in dieser Skulptur, dieselbe Menge Blut, alles, was in meinem Körper war, die gesamte Menge, die in den Adern floss. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hörte das Blut auf, ein Teil meines Ich zu sein. Aus etwas Eigenem ist ein Teil des Anderen geworden. Aber es ist dieselbe Materie.“ (Marc Quinn, 1999)

Marc Quinn, Self (Blutkopf), 1991.
Gefrorenes Blut des Künstlers, Gefriergerät, 208 x 63 x 63 cm.
London, White Cube.

Quellen:
Grünewald, Dietrich (2009) (Hrsg.): Kunst entdecken. Oberstufe. Berlin: Cornelsen Verlag, S. 46f.
Quelle: Lanz, Oliver (2018): Objektkunst. Begriff und Geschichte.