Funktionen der Farbe in der Malerei

Farben werden von Künstlern in Bildern auf unterschiedliche Weisen
eingesetzt. Grundlegend wird dabei zwischen der Betonung des Darstellungswertes der Farbe in einem Bild und der Betonung ihres Eigenwertes unterschieden. Der Darstellungswert bezieht sich auf die funktionale Rolle der Farbe, wie sie einen Gegenstand oder eine Szene darstellt. Man erkennt also eine hohe Annäherung an die farbige Wirklichkeit. Der Eigenwert hingegen betont die unabhängige, expressive (emotionale) Kraft der Farbe, losgelöst von ihrer abbildenden Funktion. Im Bild ist also eine Negation der farbigen Realität erkennbar.

Meindert Hobbema, Allee von Middelharnis, 1689.
Öl auf Leinwand, 103 x 141 cm. National Gallery, London.
[Betonung des Darstellungswerts der Farbe]
Karl Schmidt-Rottluff, Landschaft im Herbst, 1910.
Öl auf Leinwand, 88 x 96 cm. Kunstsammlungen Chemnitz.
[Betonung des Eigenwerts der Farbe]

Farben können in Bildern unterschiedliche Funktionen übernehmen und entsprechend die Bildwirkung beeinflussen.

Lokal- oder Gegenstandsfarbe

Man spricht von Lokal- und Gegenstandsfarbe, wenn ein Künstler in seinem Bild Gegenstände so darstellt, wie sie in ihrem Wesen sind und wie wir sie kennen.

Hier erhält ein Objekt also die Farbe, die der farbigen Wirklichkeit entspricht (z. B. wird eine reife Orange orange dargestellt, der Himmel blau und das Gras grün). Die Farbe auch charakterisiert die Oberflächenbeschaffenheit und die Stofflichkeit der dargestellten Objekte bis ins Detail (hart, weich, glatt, glänzend, transparent,…).

Caspar David Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818.
Öl auf Leinwand,  95 x 75 cm.

Symbolfarbe

In dieser Funktion widerspiegelt die Farbigkeit eine symbolische Bedeutung, vor allem von dargestellten Personen und Figuren. Es wird also der Eigenwert der Farbe betont. Die Farbsymbolik kann jedoch in verschiedenen Kulturen unterschiedlich aufgefasst werden (während im europäischen Raum zum Beispiel Gelb mit negativen Dingen wie Neid verbunden ist, ist es in China die Farbe der Könige).

Stefan Lochner, Madonna mit dem Veilchen, vor 1450.
Öl und Tempera auf Holz, 122 x 102 cm. Kolumba Museum, Köln.


Beispiele für die Farbsymbolik im europäischen Raum:
// Blau: Kälte, Treue, Freiheit, Himmel, Himmlisches (Christentum)
// Grün: Hoffnung, Ruhe, Naturverbundenheit
// Rot: Wärme, christliche Nächstenliebe, Opfertod Christi, Leidenschaft/Liebe, Sozialismus
// Weiß: Neutralität, Reinheit, „Unschuld“
// Schwarz: Trauer/Melancholie, Nacht/Dunkelheit

Erscheinungsfarbe

Die Impressionisten waren es, die durch ihre Gestaltungsidee Gegenstände so darzustellen, wie sie unter ganz besonderen Lichtverhältnissen erscheinen, der Farbe zu einer neuen Funktion verhelfen.

Sie vertraten die Auffassung Gegenstände so zu malen, wie man sie sieht und nicht wie man sie kennt. Mit der Lichtveränderung kann sich die so genannte Sättigung verändern. Besondere Bedeutung erhält die veränderte Farbigkeit durch den Einfluss von Licht, und Schatten, Luft und Atmosphäre im Impressionismus.

Claude Monet, Die Kathedrale von Rouen, zwischen 1892-94.
33 Gemälde. Öl auf Leinwand, je ca. 106 x 74 cm. Boston, Museum of fine Arts, Musée d’Orsay, Beyeler Foundation etc.

Ausdrucksfarbe

Wählt ein Künstler die Farben seines Bildes um Gefühle, Stimmungen, seelische Zustände oder ästhetische Empfindungen sichtbar zu machen, hat die Farbe die Funktion der Ausdrucksfarbe.

In der Regel verfolgt der Künstler nur das Ziel, durch die Farbwahl den Ausdruck des Bildes zu steigern. Dies geschieht meistens im Zusammenhang mit der Veränderung der Form.

Gabriele Münter, Abend, 1909.
Öl auf Pappe, 48 x 70 cm. Private Sammlung.

Diese Funktion kam der Farbe verstärkt seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu, als die Expressionisten (lat.: expressio = Ausdruck) Dinge nicht nur darstellen wollten, sondern etwas ausdrücken wollten, was hinter den Dingen ist, wie sie die Dinge und Erscheinungen unserer Welt interpretierten.

Farbe und Form können so stark verändert sein, dass das Abgebildete kaum ein Motiv aus dem realen Leben erkennen lässt – der Abstraktionsgrad steigt bis zum Abstrakten (Ungegenständlichen).

Absolute bzw. autonome Farbe

Absolute Farben kommen bei Bildern zum Einsatz, wo es keinen Gegenstand gibt, sondern nur abstrakte Objekte wie farbige geometrische Flächen.

Die Kombination kann daher nach einem bestimmten Kompositions-Rhythmus oder per Zufall erfolgen. Teilweise vom Kubismus beeinflusst, will man sich von den Darstellungsformen der traditionellen Kunst abwenden und nun mit abstrakten Formen arbeiten. Prinzipien der Bild-Komposition (waagerecht/senkrecht, groß/klein, hell/dunkel) werden hier dennoch beachtet und bewusst gestaltet.

Piet Mondrian, Composition No. 8, 1914.
Öl auf Leinwand, 95 x 56 cm. Solomon R. Guggenheim Museum, New York.

Eine ausführliche Erläuterung der Farbfunktionen findest du hier:

Quelle:
Krämer, Torsten (2013): Farbe. Wahrnehmung – Konzepte – Wirkung. Stuttgart: Ernst Klett Verlag GmbH. S. 48-52.