Altes Ägypten

Das Alte Ägypten ist ein faszinierendes Beispiel für eine frühe hochentwickelte, zentralisierte Gesellschaft. Viele künstlerische Erzeugnisse sind bis heute gut erhalten. Um die Ursprünge der Kunst zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den frühen Hochkulturen auseinanderzusetzen, zu denen neben Ägypten auch Mesopotamien, China, Japan und die altamerikanischen Hochkulturen wie die Azteken und Inkas zählen.

Ägypten war geografisch begünstigt durch den Nil, der nicht nur fruchtbare Böden, sondern auch ein stabiles Klima bot, das eine lange Zeit der ungestörten kulturellen Entwicklung ermöglichte. Diese Stabilität führte zu einem besonderen Bewusstsein der Ägypter für Zeit, Dauer und Vergänglichkeit. Die Kunst wurde in diesem Kontext als ein Mittel verstanden, um die ewige Präsenz der Götter und die Fortdauer des Lebens nach dem Tod zu sichern.

Das Hauptthema der ägyptischen Skulptur war das „königliche Porträt“, das sowohl Gottheiten als auch Pharaonen darstellte. Der Pharao galt als Mensch und als Nachfahre der Götter, was ihn zu einer zentralen Figur in der ägyptischen Gesellschaft machte. Er war der Stellvertreter des Sonnengottes und kannte den göttlichen Willen, um die Harmonie zwischen den himmlischen Mächten und den Menschen zu garantieren.

Büste der Nofretete,
ca. 1353-1336 v. Chr.

Die religiösen Funktionen wurden von Tempelpriestern übernommen, während der Pharao in der politischen Praxis durch hohe Beamte, Gemälde und Schreiber unterstützt wurde. Diese Strukturen trugen zur Stabilität und Sicherheit des Landes bei und ermöglichten eine ausgeklügelte Form der Kunstproduktion.

Die Ägypter bezeichneten das, was wir heute als Kunst verstehen, eher als „Handwerk“ oder „lebendiges Abbild“. Die künstlerischen Produkte wurden durch Zaubersprüche und Inschriften „beseelt“, um ihre Funktion als Hilfsmittel für das angestrebte ewige Leben zu gewährleisten. Diese Artefakte, wie Kanopen oder Grabbeigaben, sollten den Verstorbenen im Jenseits helfen und die Prüfung ihrer Seele durch die vielgestaltigen Götter bestehen.

Die ägyptische Kunst ist durch ihre Formalisierung und die Anwendung bestimmter Regeln in der Gestaltung („Kanon“) geprägt, die eine bestimmte Ästhetik und Symbolik garantierten:

  • Blockhafte und starre Erscheinung: Die Figuren wirken oft, als würden sie in einem angespannten Zustand verharren. Diese Formensprache vermittelt Stabilität und Beständigkeit.
  • Frontalität und Symmetrie: Die Darstellungen sind häufig frontal und symmetrisch angelegt, was die Bedeutung der dargestellten Figuren unterstreicht.
  • Aspektivische Darstellung: Körperteile werden aus verschiedenen Perspektiven additiv zusammengefügt, was zu einer verzerrungsfreien Darstellung führt. So sind beispielsweise Schultern frontal, während der Körper und die Gliedmaßen im Profil dargestellt sind. Diese Technik vermeidet dynamische Bewegungen und sorgt für eine ruhige, zeitlose Ausstrahlung.
  • Verhaftung am Steinblock: Die Figuren scheinen am Steinblock verankert zu sein und wirken nicht losgelöst, sondern gebunden. Dies verstärkt den Eindruck von Unveränderlichkeit und Dauerhaftigkeit.
Stele des Antef, ca. 2108-2059 v. Chr.
Statuengruppe des Mykerinos, um 2500 v. Chr.

Die künstlerischen Erzeugnisse im Alten Ägypten umfassten eine breite Palette von Größen und Formen, von Kleinplastiken bis hin zu Kolossalplastiken. Diese Plastiken konnten aus einer einzigen Sicht oder aus mehreren Ansichten betrachtet werden, was je nach Kontext und Funktion variierte.

Die erhaltenen Bauwerke und kolossalen Skulpturen sind häufig aus Stein oder Sand gefertigt, was ihnen eine bemerkenswerte Langlebigkeit verleiht. Das trockene, konservierende Klima Ägyptens hat dazu beigetragen, dass viele dieser Kunstwerke bis heute erhalten geblieben sind.

Sitzfigur von Ramses II., um 1270 v. Chr.
Luxor-Tempel.
Kanopen, um 700 v. Chr.
Höhe: ca. 35 cm. London, British Museum.

Die Plastik des Alten Ägyptens ist nicht nur ein Ausdruck künstlerischer Fertigung, sondern auch ein bedeutungstragendes Element für den Götterglauben, die Jenseitsvorstellungen, Kult und Rituale sowie die Verehrung der Könige. Sie stellt einen wichtigen Teil der ägyptischen Kultur dar, die die Vergänglichkeit des Lebens zu überwinden suchte. Die ägyptische Plastik verkörpert somit nicht nur die künstlerische Kreativität, sondern auch die tiefen spirituellen und kulturellen Überzeugungen einer der ältesten Hochkulturen der Menschheit.